Direktvergaben im Schienenpersonenverkehr: EuGH-Entscheidung in Sicht?
Der EuGH könnte demnächst darüber zu entscheiden haben, wie lange voraussetzungslose Direktvergaben im Schienenpersonenverkehr in der EU effektiv noch möglich sind. Dass es zu einem entsprechenden Vorabentscheidungsverfahren kommen könnte, legt die Entscheidung eines niederländischen Zivilgerichts aus Dezember 2020 nahe (Rechtbank Den Haag, Entscheidung vom 1. Dezember 2020, Az. C/09/598894 / KG ZA 20/823).
Hintergrund des Rechtsstreits vor dem niederländischen Gericht war der im vergangenen Sommer bekannt gegebene Plan der niederländischen Regierung, den Betrieb zentraler Abschnitte des nationalen Schienennetzes für die Jahre 2025 bis 2035 direkt an das staatliche Unternehmen „Nederlandse Spoorwegen“ zu vergeben, ohne ein faires wettbewerbliches Vergabeverfahren durchzuführen. Zahlreiche niederländische Eisenbahnunternehmen und -verbände waren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen diesen Plan vorgegangen.
Bislang durften die Mitgliedstaaten nach Art. 5 Abs. 6 der Verordnung (EG) 1370/2007 (VO 1370/2007) voraussetzungslose Direktvergaben von öffentlichen Dienstleistungen im Eisenbahnverkehr zulassen. Mit Umsetzung des sogenannten 4. Eisenbahnpakets in 2016 entfällt diese Möglichkeit ab dem 25. Dezember 2023 vollständig (Art. 8 Abs. 2 (iii) VO 1370/2007). Im Übergangszeitraum bis zum 25. Dezember 2023 bleiben voraussetzungslose Direktvergaben zulässig, wenn sie auf eine Vertragslaufzeit von bis zu 10 Jahren begrenzt sind (Art. 8 Abs. 2 UAbs. 2 VO 1370/2007). Die Antragssteller argumentierten, der Plan der niederländischen Regierung stelle eine missbräuchliche Umgehung dieser Regelung dar, weil die Direktvergabe zwar vor Fristablauf (d.h. Ende 2023) erfolge, die zehnjährige Laufzeit der Konzession aber erst mehr als ein Jahr danach (nämlich 2025) beginne.
Das Gericht wies ausdrücklich darauf hin, dass letztlich der EuGH über diese Frage zu entscheiden habe. Unter Hinweis auf die bloß summarische Prüfung im Eilrechtsschutz legte das Gericht den Fall jedoch – entgegen anderslautender Medienberichte – nicht dem EuGH vor, sondern wies den Antrag im Ergebnis ab. Die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens liegt jedoch nahe, sollten die Antragsteller ein Hauptsacheverfahren einleiten. Alternativ könnte auch ein von der Kommission oder einem Mitgliedstaat einzuleitendes Vertragsverletzungsverfahren in dieser Frage Klarheit schaffen.
Zwar erlaubt die VO 1370/2007 in der Tat die Direktvergabe neuer Aufträge bis zum letzten Tag des Übergangszeitraums. Zweck der Übergangsregelung ist es aber, den nationalen Behörden genügend Zeit zur Umstellung ihrer Vergabepraxis zu gewähren. Die lange vor Fristablauf beschlossene Direktvergabe eines Auftrags, dessen zehnjährige Laufzeit dann wiederum erst lange nach Fristablauf beginnt, dürfte mit diesem Regelungszweck nur schwer vereinbar sein. Sie konterkariert stattdessen die gesetzgeberische Intention, die Marktöffnung im Schienenpersonenverkehr voranzutreiben.
Den zuständigen Behörden verbleibt danach weiterhin u.a. die Möglichkeit der Inhouse-Vergabe, die freilich an deutlich strengere Anforderungen geknüpft ist – wie z.B. die scharfe räumliche Beschränkung der Tätigkeit des internen Betreibers.
Auf Vergabeverfahren in Deutschland dürfte auch eine Entscheidung des EuGH keine unmittelbaren Auswirkungen haben: Direktvergaben im Schienenpersonenverkehr sind mittlerweile nach § 131 Abs. 1 GWB ausdrücklich ausgeschlossen. Bedeutsam ist der Fall aber insbesondere auch für deutsche Verkehrsunternehmen, die grenzüberschreitend tätig sind. So hatten sich mehrere europäische Verkehrsunternehmen dem Antrag angeschlossen.
Mitautor: Dr. Christoph Sielmann