EU/Competition – Legal Update
Stand: Februar 2022
► Fusionsuntersagungen und Prüfung der Voraussetzungen des neuen § 39a GWB
Mit zwei Untersagungen und der Einleitung einer Sektoruntersuchung sorgten die zuständigen Aufsichtsbehörden zu Beginn des Jahres für ein Aufhorchen in der Fusionskontrollpraxis.
Am 13. Januar 2022 gab die EU-Kommission bekannt, dass sie die Übernahme von Daewoo Shipbuilding & Marine Engineering CO., Ltd durch Hyundai Industries Holding untersagt hat (Link). Die beiden in Südkorea ansässigen Unternehmen gehören zu den weltweit führenden Schiffbauunternehmen; die Brüsseler Behörde kam zu dem Ergebnis, dass die geplante Übernahme zu einer beherrschenden Stellung auf dem Markt für große LNG-Tanker geführt hätte. Da die Zusammenschlussbeteiligten laut Kommission keine förmlichen Abhilfemaßnahmen anboten, verbot die Kommission das Vorhaben nach über zweijähriger Verfahrensdauer.
Einen Tag später, am 14. Januar 2022, gab das Bundeskartellamt bekannt, dass es die Übernahme der BIRCO GmbH durch die Ahlmann SE & Co. KG untersagt hat (Link). Nach „Ermittlungen bei über 200 Wettbewerbern, ausschreibenden Stellen und Baustoffhändlern“ war das Bundeskartellamt zu der Auffassung gelangt, dass nur die Untersagung das Entstehen einer marktbeherrschenden Stellung im Bereich von Entwässerungsrinnen verhindern könne.
Untersagungsentscheidungen durch die Wettbewerbsbehörden sind bislang äußerst selten. Für die beteiligten Unternehmen besteht die Möglichkeit, gegen die Untersagungsentscheidung gerichtlich vorzugehen.
Dass das Bundeskartellamt nachteilige wettbewerbliche Auswirkungen durch fortschreitende Konzentrationsprozesse auch im Entsorgungssektor befürchtet, wird durch die zu Beginn des Jahres eingeleitete Sektoruntersuchung deutlich (Link). Diese soll dem Bundeskartellamt bei der Vorbereitung einer etwaigen Verfügung nach dem seit 2021 geltenden § 39a GWB helfen. Nach dieser Vorschrift kann eine fusionskontrollrechtliche Anmeldepflicht für ein Unternehmen auch in Fällen bestehen, in denen die nach deutschem Recht geltenden Umsatzschwellen nicht erreicht werden. Konkret geht es dem Bundeskartellamt um eine mögliche Verpflichtung zulasten der Rethmann-Gruppe. Diese hat bereits angekündigt, sich gegen das Vorgehen des Bundeskartellamtes zu wehren.
► EuG kippt wegen Marktmachtmissbrauchs gegen Intel verhängte Geldbuße
Am 26. Januar 2022 hat das Gericht der EU (EuG) die von der Kommission 2009 gegen den Chip-Hersteller Intel festgesetzte Rekordgeldbuße von EUR 1,06 Mrd. aufgehoben (Rs. T-286/09 RENV, Link). Diese Geldbuße war einerseits wegen sog. reiner Beschränkungen (u.a. Zahlungen von Intel an Computerhersteller dafür, dass diese Produkte des konkurrierenden Chip-Produzenten AMD nicht mehr verwendeten), andererseits wegen missbräuchlicher „Treue“-Rabatte verhängt worden.
2014 hatte das EuG die Klage Intels gegen die Kommissionsentscheidung noch vollumfänglich abgewiesen (Rs. T-286/09). Der Gerichtshof der EU (EuGH) hob dieses Urteil aber 2017 auf und verwies den Rechtsstreit mit konkreten Vorgaben zurück an das EuG (Rs. C-413/14 P).
Das EuG kam nunmehr zu dem Ergebnis, dass die ursprüngliche Prüfung der Kommission unvollständig gewesen sei: Sie habe nämlich nicht hinreichend dargetan, dass die streitigen Rabatte, die Intel Kunden gewährte, möglicherweise oder wahrscheinlich wettbewerbswidrige Wirkungen hatten. In Bezug auf diese Rabatte erklärte das Gericht die Kommissionsentscheidung daher für nichtig.
In seiner Entscheidung fasste das EuG nochmals die kartellrechtlichen Anforderungen an Rabattsysteme zusammen: Danach gilt ein von einem marktbeherrschenden Unternehmen eingerichtetes Rabattsystem dann als wettbewerbsbeschränkend, wenn aufgrund seiner Art vermutet werden kann, dass es wettbewerbsbeschränkende Wirkungen hat. Diese Vermutung befreit die Kommission freilich nicht von ihrer Pflicht, die wettbewerbswidrigen Auswirkungen des Rabattsystems zu prüfen. Auf Vorhalt des Marktbeherrschers muss die Kommission vielmehr nach Maßgabe verschiedener Kriterien (Ausmaß der beherrschenden Stellung, Reichweite der Rabatte, Bedingungen, Modalitäten, Dauer und Höhe der Rabatte, eine etwaige Strategie zur Verdrängung mindestens ebenso effizienter Wettbewerber sowie der sog. AEC-Test [as efficient competitor test zur Ermittlung der Frage, ob ein Wettbewerber einerseits seine Kunden für deren Verlust von Rabatten des Marktbeherrschers entschädigen und andererseits noch kostendeckend anbieten kann]) prüfen, ob das Rabattsystem tatsächlich wettbewerbsbeschränkende Wirkungen hat. Nach Auffassung des Gerichts hielt die Prüfung der Kommission diesen Anforderungen nicht stand, weshalb das Gericht die Einstufung der Rabatte als missbräuchlich aufhob.
In Bezug auf die gegen Intel verhängte, einheitliche Geldbuße sah sich das EuG außerstande zu bestimmen, welcher Betrag allein auf die reinen Beschränkungen und damit eben nicht auf die Rabatte entfalle. Deshalb erklärte das EuG auch den Art. 2 der angefochtenen Kommissionsentscheidung, mit dem die Geldbuße beziffert und verhängt worden war, insgesamt für nichtig.
Ob damit in diesem Rechtsstreit das letzte Wort gesprochen ist, bleibt abzuwarten. Jedenfalls haben die Unionsgerichte deutlich gemacht, dass die Beweisanforderungen (auch) für einen Marktmachtmissbrauch hoch sind.
► Staatliche Beihilfen für den Flughafen Frankfurt-Hahn: Lufthansa scheitert vor dem EuGH
Am 20. Januar 2022 fand ein jahrelanger Rechtsstreit um staatliche Beihilfen für den Flughafen Frankfurt-Hahn für die klagende Lufthansa AG ein ernüchterndes Ende: Der EuGH wies das Rechtsmittel des Unternehmens zurück (C-594/19 P, Link), nachdem schon das EuG die Nichtigkeitsklage der Lufthansa im Jahr 2019 als unzulässig abgewiesen hatte (T-764/15). Dem Rechtsstreit liegt ein Beschluss der Kommission aus dem Jahr 2014 zugrunde, welcher mehrere staatliche Maßnahmen (Darlehen, Garantie, Kreditlinie aus dem Liquiditätspool des Landes) zugunsten des Flughafenbetreibers als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt und für andere Maßnahmen (weitere Darlehen) die Beihilfeneigenschaft verneint hatte. Lufthansa argumentierte, dass es streitgegenständlich zum einen um eine Beihilfenregelung ginge, gegen die sie klagen könne, und zum anderen, dass letztlich ihr Konkurrent Ryanair, der, anders als Lufthansa selbst, den Flughafen tatsächlich anflog, profitiert habe. Dennoch verneinten die EU-Gerichte jeweils die Klagebefugnis der Lufthansa. Das Unternehmen habe nicht ausreichend dargelegt, dass es durch die Beihilfen an den Flughafen „spürbar“ in seiner Stellung auf dem fraglichen Markt beeinträchtigt worden und damit individuell betroffen sei.
Das Urteil unterstreicht einerseits erneut die hohen Anforderungen, vor denen Wettbewerber stehen, wenn sie eine staatliche Beihilfe vor den Gerichten erfolgreich angreifen wollen. Es veranschaulicht ferner, wie lange beihilferechtlich Begünstigte mit den durch die Verfahren verursachten Unsicherheiten leben müssen.
Im Oktober des letzten Jahres hat der Betreiber des Flughafens Frankfurt-Hahn derweil Insolvenz angemeldet; weitere Verfahren (u.a. zu Betriebsbeihilfen an den Flughafenbetreiber) sind aber noch bei den Unionsgerichten anhängig (u.a. Rs. T-218/18). (Link)
► Bundesverwaltungsgericht lehnt Eilantrag gegen Weiterbau der Festen Fehmarnbeltquerung ab
Am 27. Januar 2022 hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig den Eilantrag einer Umweltvereinigung gegen den Weiterbau der sog. FFBQ (Feste Fehmarnbeltquerung) abgelehnt (Az. 9 VR 1.22, Link). Der Antrag zielte darauf ab, die aufschiebende Wirkung einer von der Umweltvereinigung im Oktober 2021 erhobenen Klage gegen den Planänderungsbeschluss wiederherzustellen und die Bauarbeiten zu stoppen.
Zum Hintergrund: Im November 2020 hatte das BVerwG die gegen den Planfeststellungsbeschluss zum Bau der FFBQ erhobenen Klagen abgewiesen, hierbei aber festgestellt, dass bezüglich weiterer lokaler Riffvorkommen ein ergänzendes Verfahren durchgeführt werden müsse.
Die Entscheidung bedeutet nicht nur einen empfindlichen Rückschlag für die in den Verfahren engagierten Umweltvereinigungen, sondern dürfte erneut auch Anbieter von See- und Schienenverkehrsinfrastrukturen aufhorchen lassen. Denn die FFBQ wird mutmaßlich zu einer Verlagerung von Fracht- und Passagierverkehren führen, die im Skandinavienverkehr bislang über die Häfen Puttgarden, Kiel und Lübeck liefen.
Weitere Meldungen
► Beihilferecht: Öffentliche Konsultation zur geplanten Neufassung der Eisenbahnrichtlinien
Noch bis zum 16. März 2022 läuft die öffentliche Konsultation der EU-Kommission (in Form eines an alle Interessenträger gerichteten Fragebogens) zur geplanten Neufassung der Eisenbahnrichtlinien. Diese legen fest, unter welchen Voraussetzungen staatliche Beihilfen an Eisenbahnunternehmen als mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt werden können. Die derzeitigen Leitlinien stammen aus dem Jahr 2008; die Kommission will mit überarbeiteten Leitlinien dem Marktversagen im Schienenverkehr entgegenwirken und die Wettbewerbsfähigkeit des Schienenverkehrs verbessern. (Link)
► Beihilferecht: EuGH verurteilt Griechenland wegen unterbliebener Rückforderung von mit dem Binnenmarkt unvereinbaren Beihilfen
Der EuGH entschied am 20. Januar 2022, dass Griechenland einen Pauschalbetrag von EUR 5,5 Mio. sowie pro Halbjahr des Verzugs eine Geldbuße von mehr als EUR 4 Mio. zahlen muss. Griechenland habe die Rückforderung rechtswidriger staatlicher Beihilfen für den in Schwierigkeiten geratenen Nickelhersteller Larco verzögert, befand der Gerichtshof (Rs. C-51/20). Damit hat sich der Druck auf die unionsrechtliche Durchsetzung des Beihilfenrechts deutlich erhöht, mit möglichen Folgen auch für andere Verfahren: Griechenland hat die zuvor von Larco gehaltenen Nickelschürfkonzessionen neu zur Vergabe ausgeschrieben. Parallel werden auch die verbliebenen Assets der Larco in einem wettbewerblichen Verfahren veräußert. (Link)
► Marktmachtmissbrauch: EuG spricht der Deutsche Telekom AG eine Entschädigung von ca. EUR 1,8 Mio. zu
Mit Urteil vom 19. Januar 2022 hat das EuG der Deutschen Telekom ca. EUR 1,8 Mio. als Schadensausgleich dafür zugesprochen, dass sich die Europäische Kommission geweigert hatte, der Telekom Verzugszinsen auf denjenigen Teilbetrag einer Geldbuße zu zahlen, den die Kommission der Telekom erstatten musste, nachdem die Kommissionsentscheidung, die dem Unternehmen einen Marktmachtmissbrauch vorgeworfen hatte, teilweise für nichtig erklärt worden war (Rs. T-610/19). Eine erfolgreiche Durchsetzung außervertraglicher Haftungsansprüche gegen die EU (Art. 340 Abs. 2 AEUV) ist äußerst selten. (Link)
***
Das EU/COMP-Team von Chatham Partners ist seit vielen Jahren auf komplexe Fragestellungen und Verfahren aus den Bereichen des EU- und deutschen Wettbewerbs-, Beihilfe- und Vergaberechts spezialisiert und verfügt über ausgewiesene praktische Erfahrungen in verschiedenen Branchen.