Kommission schlägt Green Deal Industrieplan vor
EU/Competition – Legal Update - Stand: 16. März 2023
Mit dem „Inflation Reduction Act of 2022“ (IRA) haben die USA ein Programm zur Ankurbelung ihrer Wirtschaft insbesondere im Bereich der grünen Technologien aufgesetzt. Während China Investitionen in saubere Technologien in Höhe von über USD 280 Mrd. angekündigt hat und Japan etwa EUR 140 Mrd. für eine grüne Transformation aufbringen will, wollen die USA sogar USD 360 Mrd. mobilisieren. Nicht zuletzt der IRA hat damit einen massiven Subventionsdruck ausgelöst; sein Volumen stellt die Wettbewerbsfähigkeit europäischer grüner Projekte nachhaltig in Frage.
Vor diesem Hintergrund ist es das erklärte Ziel des am 1. Februar 2023 vorgestellten Green Deal Industrieplan (Link) der Europäischen Kommission (Kommission), die Ausgangslage für europäische Projekte zu verbessern. Der Industrieplan baut auf dem European Green Deal und der REPowerEU-Initiative auf und soll die industrielle Führungsrolle der EU im Bereich CO2-neutraler Technologien sichern sowie die Industrie beim Übergang zur Klimaneutralität unterstützen. Hierfür sollen die Wettbewerbsfähigkeit verstärkt und Investitionen gefördert werden. Die Staats- und Regierungsoberhäupter der EU haben auf ihrem Gipfeltreffen am 9. Februar 2023 erklärt, den Industrieplan grundsätzlich zu befürworten. Sie wollen diesen auf dem nächsten Gipfeltreffen Ende März erneut besprechen (Link).
Der Industrieplan kündigt neue Legislativvorschläge, Reformen und Leitlinien an und besteht aus vier Säulen, welche den internationalen Subventionsdruck aus den USA, Japan und China ausgleichen sollen. Die vier Säulen umfassen
- die Vereinfachung des Regelungsumfelds,
- die Beschleunigung und Vereinfachung des Zugangs zu Finanzmitteln,
- die Förderung von Kompetenzen auf dem Arbeitsmarkt,
- sowie einen Offenen Handel für resiliente Lieferketten.
Das ehrgeizige Ziel der Kommission ist es, sowohl eine Umstellung auf nachhaltige Energie zu erreichen als auch die Wettbewerbsfähigkeit der EU in diesem Bereich zu erhalten. Den Schwerpunkt legt sie dabei vor allem auf finanzielle Unterstützung und die Vereinfachung von Regularien. Für Unternehmen, die einen Beitrag zum Übergang zur Klimaneutralität leisten können, wird es künftig zahlreiche neue Fördermöglichkeiten geben. Unternehmen, die solche Fördermöglichkeiten erkennen und nutzen, werden einen signifikanten Wettbewerbsvorteil erlangen.
Offen ist allerdings noch, welche Technologien überhaupt als sauber und daher förderungswürdig gelten sollen. Die Kommission zählt zuvörderst „Batterien, Windkraftanlagen, Wärmepumpen, Solarenergie, Elektrolyseure sowie Kohlenstoffabscheidung und -speicherung“ auf. Es bleibt abzuwarten, welche Technologien am Ende tatsächlich einbezogen werden, denn die Kommission weist in ihrem Plan darauf hin, dass der genaue Umfang erst noch festgelegt werden soll. Hierbei könnte auch eine Angleichung zu den Technologien erfolgen, die nach der EU-Taxonomie als nachhaltig gelten.
Im Rahmen der vier Säulen sieht die Kommission im Einzelnen die folgenden Maßnahmen vor:
Berechenbares und vereinfachtes Regelungsumfeld
Um den momentan sehr komplexen Rechtsrahmen zu vereinfachen, schlägt die Kommission eine Vielzahl von Initiativen vor:
- Ein „Netto-Null-Industrie-Gesetz“ soll sektorspezifische Ziele für Produktionskapazitäten für sogenannte „Clean Tech Industrien“ festlegen. Daneben soll das Gesetz die Entwicklung von Industrien wie etwa die Produktion von Windkraftanlagen, Wärmepumpen und Solarzellen beschleunigen, indem es schnellere Genehmigungsverfahren durch feste Zeitlimits und „One‑stop-shops“ für Genehmigungsanträge etablieren soll. Außerdem soll es strategische europäische Projekte fördern und die Entwicklung von Standards zur Unterstützung des Technologieausbaus unterstützen. Der Vorschlag der Kommission wurde am 16. März 2023 veröffentlicht (Link).
- Gleichzeitig soll das Strommarktdesign reformiert werden. Der Verordnungsvorschlag, der am 14. März 2023 veröffentlicht wurde, soll Schwankungen der Energiepreise entgegenwirken, die Versorgungssicherheit gewährleisten und den Verbraucherinnen und Verbrauchern die Möglichkeit geben von den geringeren Kosten der erneuerbaren Energien zu profitieren.
- Hinzu kommt ein neues „Gesetz zu kritischen Rohstoffen“, dessen Entwurf ebenfalls am 16. März 2023 veröffentlicht wurde (Link). Das Gesetz war bereits mit der REPowerEU-Mitteilung im Mai 2022 angekündigt worden und soll die Versorgungssicherheit gewährleisten. Es soll die Gewinnung, die Verarbeitung und das Recycling von kritischen Rohstoffen, die für die Herstellung von wichtigen Schlüsseltechnologien benötigt werden, erleichtern.
- Die Kommission plant außerdem die Einführung eines einheitlichen EU-Energielabels für Wärmepumpen und gegebenenfalls Vorschriften für eine schnellere Bereitstellung grenzüberschreitender Energieinfrastruktur.
Insbesondere die Vereinfachung des Regulierungsumfelds und die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren sind – im Sinne einer zügigen technologischen Transformation – äußert sinnvolle Vorhaben.
Beschleunigung und Vereinfachung des Zugangs zu Finanzmitteln für in der EU tätige Unternehmen
Die wohl wichtigste der vier Säulen soll Investitionen in die Produktion sauberer Technologien beschleunigen. Die Mitgliedstaaten sollen hierfür eigene Finanzmittel einsetzen und die verbleibenden EU-Mittel aus der Aufbau- und Resilienzfazilität nutzen können. Konkret sieht die Kommission hierfür folgende Maßnahmen vor:
- Die Kommission plant neue Verwendungsmöglichkeiten bestehender EU-Mittel für die Produktion von „Netto-Null“-Technologien. Hiervon sind insbesondere REPowerEU, InvestEU und der Innovationsfonds betroffen. Die Neuausrichtung soll sich auf Herstellungskapazitäten für CO2-neutrale Technologien konzentrieren. Zur Erleichterung des Zugangs zu den REPowerEU-Mitteln hat die Kommission am 1. Februar 2023 ebenfalls neue Leitlinien für Konjunktur- und Resilienzpläne angenommen (Link).
- Die Kommission schlägt zudem vor, einen europäischen Souveränitätsfonds einzuführen, der eine strukturelle gesamteuropäische Antwort auf Investitionsbedarf geben soll. Ein Gesetzgebungsvorschlag wird für Mitte des Jahres erwartet.
- Der zentrale Vorschlag des Industrieplans betrifft eine zusätzliche Ausweitung der bereits bestehenden Lockerungen des EU-Beihilferechts. Der am 23. März 2022 angenommene Befristete Krisenrahmen, der als Antwort auf den Ukrainekrieg geschaffen wurde (wir berichteten: Link), ist zu einem „Befristeten Krisenrahmen zur Krisenbewältigung und zur Gestaltung des Wandels“ (Link) weiterentwickelt worden, um Investitionen für einen schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien und die Dekarbonisierung der Industrie zu fördern und Investitionen in die Herstellung der für den Übergang zur CO2-Neutralität erforderlichen Ausrüstung zu ermöglichen. Er gilt bis Ende 2025.
Beihilfen für erneuerbare Energien und für die Industriedekarbonisierung sollen weiter vereinfacht werden: Der Anwendungsbereich von Freistellungen auf alle erneuerbaren Energien, die von der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED-II) erfasst werden, wird erweitert, die Beihilfenobergrenze angehoben und die Beihilfenberechnung vereinfacht; die Fristen für die Inbetriebnahme werden verlängert und für weniger ausgereifte Technologien (bspw. erneuerbaren Wasserstoff) unter bestimmten Voraussetzungen keine Ausschreibungen mehr verlangt. Daneben sollen die Förderregeln für die Herstellung strategisch bedeutsamer Produktionsmittel verbessert werden. Bei bestimmten Vorhaben (bspw. solchen in benachteiligten EU-Regionen), für die auch eine Förderung aus Drittländern zur Verfügung steht, soll ein „Matching“ mit Drittstaatensubventionen möglich sein.
- Die angekündigte Überarbeitung der Allgemeinen Gruppenfreistellung (AGVO) wurde zwischenzeitlich bereits angenommen (Link). Die überarbeitete AGVO soll den Mitgliedstaaten mehr Flexibilität bei der Unterstützung in Bereichen ermöglichen, welche für eine CO2-neutrale Wirtschaft entscheidend sind. Insbesondere wurden die Anmeldeschwellen für die Förderung grüner Investitionen angehoben.
- Schließlich soll die Prüfung von „Important Projects of Common European Interest“ (IPCEI) und die Genehmigung der Fördergelder für IPCEI schneller erfolgen. Dafür sollen die Kommission und die Mitgliedstaaten sich gemeinsam auf einen Verhaltenskodex über die Ausgestaltung von IPCEI einigen. Für KMU soll es zudem besondere Teilnahmeerleichterungen geben.
Die schnellere Genehmigung von IPCEIS verspricht positive Effekte für die Entwicklung von Schlüsseltechnologien. Die geplante Beschleunigung und Vereinfachung des Zugangs zu Finanzmitteln wirft dagegen noch Fragen auf. Die vorgesehene EU-Finanzierung stützt sich weniger auf neue als auf die Umwidmung bereits vorgesehener Mittel. Abzuwarten bleibt, ob diese Mittel für die weitreichenden Pläne der Kommission tatsächlich zur Verfügung stehen und ausreichen. Die Kommission hat keine konkreten Beträge genannt.
Auch die geplanten Lockerungen des Beihilferechts bergen Konfliktpotential. Insbesondere große und reiche Mitgliedstaaten wie Deutschland und Frankreich verfügen über ausreichende Ressourcen, um weitere Subventionen zu vergeben. Dies könnte die Wirtschaft in weniger finanzstarken Mitgliedstaaten unter Druck setzen und zu einer Verzerrung des Wettbewerbs führen. Umso wichtiger erscheint es, dass der angekündigte neue Souveränitätsfonds mit ausreichenden EU-Mitteln ausgestattet wird. Gegen die hierfür erforderliche Schuldenaufnahme haben sich laut Presseberichterstattung allerdings schon mehrere Mitgliedstaaten ausgesprochen, unter ihnen Irland, Österreich und Tschechien.
Förderung von Kompetenzen auf dem Arbeitsmarkt
Nach Schätzungen der Kommission könnten 35 %-40 % aller Arbeitsplätze vom Übergang zur grünen Wirtschaft betroffen sein. Um die grüne Transformation zu unterstützten, sollen Umschulungen und Qualifizierungen zugunsten der strategisch wichtigen Branchen durchgeführt werden. Die Kommission will hierfür mit „Netto-Null-Industrie-Akademien“ das Bildungsangebot anpassen. Gleichzeitig sieht sie vor, den Zugang von Drittstaatenangehörigen zu den EU-Arbeitsmärkten in vorrangigen Sektoren zu erleichtern. Zusätzlich will sie prüfen, inwieweit „Skills-first“-Ansätze, die tatsächlichen Fähigkeiten oberste Priorität beimessen und Ansätze, die nur erworbene Qualifikationen berücksichtigen, kombiniert werden können.
Offener Handel für resiliente Lieferketten
Die letzte Säule behandelt die globale Zusammenarbeit und die Handelsförderung für den grünen Wandel unter Berücksichtigung der Grundsätze des fairen Handels. Die Kommission plant die Gründung eines „Clubs für kritische Rohstoffe“, die Gründung von Industriepartnerschaften für saubere Technologien sowie die Stärkung der internationalen Zusammenarbeit durch neue Freihandelsabkommen. Die neue Verordnung über den Binnenmarkt verzerrende Drittstaatensubventionen (FSR) soll ausländische Subventionen bekämpfen, die durch unfaire Handelspraktiken den Wettbewerb auf dem Markt für saubere Technologien verzerren.
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Wir danken Sonja Maria Brücker für ihre wertvolle Unterstützung bei der Erstellung dieses Beitrags.