Pkw-Maut-Untersuchungsausschuss
Zeuge bestätigt erhebliche Rechtsunsicherheiten vor Verkündung des EuGH-Urteil für deutsche Akteure
Am 5. November 2020 hat ein EU-Spitzenbeamter als Zeuge vor dem 2. Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages der Aussage des Bundesverkehrsministers Scheuer, dass man „definitiv auf alle Entscheidungen gewartet“ habe, bevor sein Ministerium die deutsche Pkw-Maut entscheidend vorbereitete und Verträge mit hohem Risiko für Deutschland schloss, klar widersprochen.
Der jetzt gehörte Zeuge Dr. Selmayr war bis 2018 Kabinettschef des damaligen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und in dieser Rolle in Gespräche mit den deutschen Vertretern eingebunden. In der Berichterstattung aus dem Untersuchungsausschuss wird der österreichische Jurist mit den Worten wiedergegeben, dass man nie so vermessen sein dürfe, sicher wissen zu wollen, wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheide – ein klarer unionsrechtlicher Seitenhieb auf die damaligen deutschen Akteure. Er wird zudem mit den Worten zitiert, dass er „die Chance, dass das für die deutsche Maut gut ausgeht, als sehr klein angesehen“ habe.
Das EuGH-Urteil vom 18. Juni 2019 markierte – de facto – das Aus für die damaligen deutschen Pläne zur Pkw-Maut. Der 2. Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages hat jetzt zur Aufgabe, das Verhalten der Bundesregierung, insbesondere des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) und seiner nachgeordneten Behörden, seit Unterzeichnung des Koalitionsvertrages für die 18. Wahlperiode im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Einführung der Infrastrukturabgabe (Pkw-Maut) umfassend aufzuklären. Hierbei stehen das Vergabeverfahren, die Kündigung der Verträge zur Erhebung und Kontrolle und die daraus resultierenden Folgen inklusive der Prozesse zur Abwicklung des Projekts im Mittelpunkt der Untersuchung; auch die persönlichen und politischen Verantwortlichkeiten und die Aufklärungs- und Informationspraxis der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag zu diesen Vorgängen sollen aufgearbeitet werden. Der Ausschuss soll zudem prüfen und Empfehlungen geben, welche Schlussfolgerungen zu ziehen und welche Konsequenzen aus seinen gewonnenen Erkenntnissen zu ergreifen sind.
Die EU-beihilfenrechtlichen Dimension der zur Pkw-Maut geschlossenen Verträge ist hingegen bislang nicht Gegenstand von öffentlich bekannten Untersuchungen; bei Aufarbeitung dieser Fragestellung durch die Beteiligten ergeben sich zahlreiche weitere unionsrechtliche Aspekte und Stellschrauben, insbesondere zur Entlastung des Bundeshaushalts und zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen.
Chatham Partners hat 2019 ein öffentlich verfügbares Gutachten für die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag zu den Fragen der Vorhersehbarkeit des EuGH-Urteils und der Berücksichtigung des Risikos in den vergebenen Aufträgen Stellung genommen. Die dortige rechtliche Risikoeinschätzung hat Herr Dr. Selmayer in seiner Zeugenaussage bestätigt. Dr. Marco Núñez Müller, LL.M. (Col.), Partner bei Chatham Partners im Bereich EU COMP, hat im Januar 2020 als Sachverständiger vor dem 2. Untersuchungsausschuss zudem seine juristische Einschätzung abgegeben.