Verfahren wegen Marktmachtmissbrauchs gegen Facebook
BGH veröffentlicht Entscheidung über Hängebeschluss und BKartA eröffnet zweites Verfahren
Am 10. Januar 2021 hat der Bundesgerichtshof (BGH) seinen Beschluss vom 15. Dezember 2020 über die Nichtzulassungsbeschwerde des Bundeskartellamts gegen den sog. Hängebeschluss des Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf im Facebook-Verfahren im Volltext veröffentlicht (Az. KVZ 90/20).
In diesem Eilrechtsverfahren streiten Facebook und das Bundeskartellamt über den zweiten Eilrechtsantrag gegen den Beschluss des Bundeskartellamts vom 6. Februar 2019, gegen den parallel auch das Hauptsacheverfahren läuft.
Das Bundeskartellamt hat dem Unternehmen mit seinem Facebook-Beschluss aus dem Jahr 2019 weitreichende Beschränkungen in Bezug auf die Verarbeitung von Nutzerdaten auferlegt und seine Entscheidung – mit einer Übergangsfrist – als sofort vollziehbar ausgestaltet (Az. B6-22/16). Kernvorwurf des BKartA ist in dieser Entscheidung, dass Facebook nutzer- und gerätebezogene Daten, die bei der Nutzung der konzerneigenen Dienste erhoben werden, ohne Einwilligung der Nutzer mit den für facebook.com geführten Nutzerkonten verknüpfen und verwenden kann. Ebenso wendet sich das BKartA dagegen, dass Facebook die private Nutzung von facebook.com an die Bedingung knüpft, dass es ohne Einwilligung der Nutzer auch solche Daten mit den „Facebook-Konten“ verknüpfen und verwenden kann, die es über Schnittstellen beim Surfen im Internet oder bei der Nutzung mobiler Apps dritter Anbieter erfasst. Das BKartA stellte daher 2019 einen Verstoß gegen das Datenschutzrecht fest und bejahte im Ergebnis einen Konditionenmissbrauch i.S.d. § 19 Abs. 1 GWB.
Dieses Facebook-Verfahren betrifft nicht nur materiell zahlreiche umstrittene Fragen des Kartellrechts auf der Schnittstelle zum Datenschutzrecht, sondern ist auch bereits jetzt prozessual bemerkenswert: Denn obwohl über Facebooks Beschwerde in der Hauptsache vor dem OLG Düsseldorf erstmals im März 2021 mündlich verhandelt werden soll, haben sich das OLG Düsseldorf und der BGH schon jeweils zweimal ausführlich mit der Sache befasst: Zunächst gab das OLG Düsseldorf Facebooks erstem Eilantrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde am 26. August 2019 statt und zerpflückte die Argumentation des BKartA dabei gleichsam in der Luft (Az. Kart 1/19 V): Es stützte sich im Kern darauf, dass eine Kausalität zwischen Marktmacht und Missbrauch nicht gegeben sei und dass kein Nachweis der Schädigung des Wettbewerbs vorliege, die durch Facebooks (angeblichen) Datenschutzrechtsverstoß ausgelöst werde, so dass „schon nach summarischer Prüfung“ die Wertung des BKartA nach Auffassung des OLG Düsseldorfs „durchgreifenden rechtlichen Bedenken“ begegne.
Auf Antrag des BKartA hob der BGH diese Entscheidung am 23. Juni 2020 jedoch wieder auf und stellte die sofortige Vollziehbarkeit der BKartA-Entscheidung damit wieder her (Az. KVR 69/19). Anders als noch das BKartA knüpfte der BGH in seiner – 55 Seiten langen – Entscheidung aber den kartellrechtlichen Vorwurf nicht an einen Datenschutzrechtsverstoß. Als entscheidend sah der BGH es vielmehr an, dass diejenigen Nutzungsbedingungen von Facebook missbräuchlich seien, die den privaten Facebook-Nutzern keine Wahlmöglichkeit hinsichtlich der Intensität der Personalisierung des Nutzungserlebnisses ließen.
Als die Frist für die Umsetzung der BKartA-Entscheidung abzulaufen drohte, reichte Facebook Ende November 2020 erneut einen Eilantrag beim OLG Düsseldorf ein. Mit Beschluss vom 30. November 2020 erließ das OLG Düsseldorf bis zur endgültigen Entscheidung über diesen neuen Eilantrag einen sog. Hängebeschluss, mit welchem es die aufschiebende Wirkung der Beschwerde von Facebook jedenfalls bis zur eigentlichen Entscheidung über den Antrag wiederherstellte (Az. Kart 13/20 V). In diesem Beschluss wird deutlich, dass sich das OLG Düsseldorf vorgenannter Argumentation des BGH nicht ohne Weiteres beugen wird. Eine Rechtsbeschwerde hatte das Gericht nicht zugelassen, weswegen das BKartA am 2. Dezember 2020 Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH einlegte, der der BGH am 15. Dezember 2020 nun auch stattgab.
Nicht nur dieses Verfahren verspricht somit weiterhin eine engagierte juristische Auseinandersetzung um die Deutungshoheit über § 19 Abs. 1 GWB im Bereich der Plattformökonomie, des Datenschutzes und mit Blick auf die weltweit agierenden Technologie-Unternehmen.
Und auch im Übrigen lässt das BKartA gegen Facebook nicht locker: Mit Pressemitteilung vom 10. Dezember 2020 hat die Bundesbehörde bekannt gegeben, dass es ein weiteres Missbrauchsverfahren gegen das Unternehmen eingeleitet hat, und treibt damit seine Aufsicht über den Global Player voran.
Gegenstand der neuen Überprüfung ist die geplante Verknüpfung von Oculus Virtual Reality-(VR-) Produkten mit dem Facebook-Netzwerk: Das BKartA will untersuchen, inwieweit eine von Facebook geplante Kopplung von Facebooks Aktivitäten im VR-Bereich mit seinem sozialen Netzwerk auf facebook.com gegen das Marktmachtmissbrauchsverbot verstößt.
Hintergrund des neuen Facebook-Verfahrens ist, dass zum Facebook-Konzern seit 2014 auch das Unternehmen Oculus gehört, das VR-Hardware (namentlich die entsprechenden Brillen) sowie die erforderliche VR-Software anbietet. Bislang kam für das Oculus-Angebot eine eigene, nämlich die Oculus-Plattform, zum Einsatz. Nun hat Facebook aber begonnen, Oculus in das soziale Netzwerk zu integrieren und die Nutzung der neuen Generation der Oculus-VR-Brille „Quest 2“ von einer Registrierung auf der Facebook-Plattform abhängig zu machen. Da das BKartA Facebook als „mit seinem sozialen Netzwerk marktbeherrschend in Deutschland“ einstuft und Facebook überdies auch als bedeutenden Player im VR-Markt ansieht, sah es sich nun aufgrund der Verknüpfung beider Angebote zur Verfahrenseinleitung veranlasst.
Auch die 10. GWB-Novelle, schon als GWB-Digitalisierungsgesetz bezeichnet, wird aller Voraussicht weitreichende Impulse für diese Bereiche bringen. Andes als ursprünglich geplant wird aber erst im laufenden Jahr über den vorliegenden Gesetzesentwurf entschieden werden.
Das erfahrene EU/COMP-Team von Chatham Partners berät Unternehmen und ihre Geschäftsleitungen seit vielen Jahren zu allen Fragen des Kartellrechts und des Unionsrechts, einschließlich des Marktmachtmissbrauchs- und Datenschutzrechts. Es hält regelmäßig (branchenbezogene) Schulungen und Webinare zu o.g. Themen ab, zuletzt im Oktober 2020 vor dem BVMW Hamburg/Schleswig-Holstein. Nehmen Sie gern Kontakt zu uns auf, um zu erfahren, wie wir ggf. auch Sie unterstützen können.