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Wichtiger Schritt für erneuerbaren Wasserstoff: Kommission erlässt zwei delegierte Rechtsakte zu „RED II“

EU/Competition – Legal Update – Stand: 13. März 2023

Die Europäische Kommission (Kommission) beendet vorerst die jahrelange Hängepartie um die Produktionsbedingungen von „erneuerbaren Kraftstoffen nicht biogenen Ursprungs“ (renewable fuels of non-biological origin - RFNBO) und schafft damit endlich den bereits für Ende 2021 versprochenen Rechtsrahmen für die Produktion „Grünen Wasserstoffs“. Hierzu hat die Kommission zwei separate delegierte Rechtsakte im Rahmen der „Erneuerbare-Energien-Richtlinie“ (RED II) verabschiedet (Link), die nunmehr vom Europäischen Parlament (Parlament) und Rat geprüft werden, bevor sie in Kraft treten können. Nachdem das Parlament eine Verlängerung des Prüfungszeitraums um zwei Monate erwirkt hat,  haben die Legislativorgane nun insgesamt vier Monate für die Prüfung Zeit. Eine weitere Verlängerung sieht das Gesetzgebungsverfahren nicht vor. Änderungen können Parlament und Rat nicht vorschlagen, sie können aber jeweils durch Mehrheitsentscheidung ein Inkrafttreten verhindern. Daher wird spätestens zum 13. Juni 2023 Klarheit über das Inkrafttreten des Rechtsakts bestehen.

Die Entscheidung darüber, wann welcher (Netz-)Strom für die Herstellung von (vollständig erneuerbarem) Wasserstoff verwendet werden darf, war eine Gratwanderung zwischen effektivem Klimaschutz, einer Incentivierung des Markthochlaufs für Grünen Wasserstoff sowie dem Ausbau erneuerbarer Energien. Die Kommission zögerte die Verabschiedung der delegierten Rechtsakte daher immer wieder hinaus, um die unterschiedlichen Interessen in Einklang zu bringen.

Im Kern war man sich einig, dass RFNBO (zu denen insbesondere Grüner Wasserstoff und dessen Derivate zählen) zukünftig klimaneutral durch Elektrolyse hergestellt werden sollen. Wie dies sichergestellt werden kann, ohne dem bereits heute angespannten Strommarkt die dringend benötigten erneuerbaren Energien zu entziehen, regelt nun der delegierte Rechtsakt auf Grundlage des Art. 27 Abs. 3 RED II. Wie ermittelt wird, ob RFNBO (sowie recycelte kohlenstoffhaltige Treibstoffe im Sinne der RED II) die vorgeschriebene Treibhausgaseinsparungsquote von 70% erreichen, wird im zweiten delegierten Rechtsakt zu Art. 28 Abs. 5 RED II festgelegt.

Die Rechtsakte betreffen zunächst nur die Anrechnung von im Verkehrssektor verbrauchten strombasierten Kraftstoffen auf die Zielvorgaben, die RED II für den Verkehrssektor hinsichtlich der Verwendung erneuerbarer Energien festlegt. Das heißt z.B. für Deutschland, dass Kraftstoffhändler an den Verkehrssektor abgegebenen Grünen Wasserstoff,  auf ihre Verpflichtung zur Minderung von Treibhausgasemissionen anrechnen dürfen, wenn der Grüne Wasserstoff die Anforderungen der RED II erfüllt. Erfüllt der Wasserstoff die Anforderungen nicht, bleibt diese Anrechnungsmöglichkeit vorenthalten. Anrechenbar ist dabei nur der „erneuerbare Anteil“ der abgegebenen Kraftstoffe und auch nur dann, wenn der Kraftstoff eine Treibhausgaseinsparung von 70 % gegenüber der fossilen Alternative erreicht. Der „erneuerbare Anteil“ bei mit Netzstrom hergestellten Kraftstoffen richtet sich dabei grundsätzlich nach dem Anteil erneuerbarer Energien im Strommix des Produktionslandes. Wann mit Strom hergestellter Wasserstoff als vollständig erneuerbar gilt, regelt nun der delegierte Rechtsakt zu Art. 27 Abs. 3 RED II. Die Produzenten können dabei zwischen den verschiedenen Varianten (anteilig bzw. vollständig erneuerbar) wechseln.

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Dieser Rechtsakt wird künftig erheblich an Bedeutung gewinnen. Denn bereits im Juli 2021 hat die Kommission eine Novelle der RED II vorgeschlagen, mit der die RFNBO-Definition auf alle Sektoren ausgeweitet und Mindestquoten in Industrie und Verkehr für die Nutzung von RNFBO eingeführt werden sollen. Der Vorschlag befindet sich aktuell in den sogenannten Trilogverhandlungen; eine Einigung soll noch im März erreicht werden. Sollte es im Trilog zu einer Einigung kommen (was als wahrscheinlich gilt), würden die Rechtsakte über den Verkehrssektor hinaus an Relevanz gewinnen. Sie würden dann aller Voraussicht nach den EU-weiten Standard für Grünen Wasserstoff setzen.

Im Einzelnen konkretisiert die Kommission im Rechtsakt zur RFNBO Produktion (gem. Art. 27 Abs. 3 RED II) die Anforderungen an zwei Betriebsmodelle:

  • Betrieb der Produktionsanlage mit Strom aus einer Direktverbindung zu erneuerbarer Energieerzeugung
  • Betrieb der Produktionsanlage mit Netzstrom

Besteht eine direkte Verbindung zwischen der Wasserstofferzeugungsanlage und der Stromerzeugungsanlage und ist die Stromerzeugungsanlage an das Stromnetz angeschlossen, dann muss zwingend nachgewiesen werden, dass trotz Netzanschluss kein Netzstrom zur Produktion verwendet wurde. In jedem Fall wird verlangt, dass die Stromerzeugungsanlage frühestens 36 Monate vor der Wasserstoffproduktion in Betrieb genommen wurde (Zusätzlichkeitskriterium). In diesem Fall schätzt die Kommission also das Risiko, dass fossile Erzeugungskapazitäten zur Deckung des generellen Strombedarfs aktiviert werden, als gering ein.

Um auch bei Bezug von Netzstrom sicherzustellen, dass der Betreiber kohlenstoffarme Energien als Primärenergie einsetzt, ohne die Treibhausgasemissionen im Gesamtsystem zu erhöhen, gilt dort ebenfalls das Erfordernis der Zusätzlichkeit. Daneben werden noch weitere Anforderungen wie die zeitliche und geographische Korrelation formuliert.

Je nach Anwendungsfall müssen nicht alle Voraussetzungen erfüllt sein. Keine weiteren Anforderungen müssen Produktionsanlagen erfüllen, die in einer Gebotszone mit einem Anteil erneuerbarer Energien von mehr als 90 % stehen. Der konkret festgestellte prozentuale Anteil bestimmt, wie viele Vollaststunden im Kalenderjahr die Produktionsanlage betrieben werden darf. Gleiches gilt, wenn der Strom während eines „Redispatches“ von EE-Anlagen bezogen wird, also während die Leistungseinspeisung von EE-Stromerzeugungsanlagen begrenzt wird. Führt der Strombezug zu einer Reduzierung des Redispatches von EE-Anlagen, gilt der mit diesem EE-Strom produzierte Wasserstoff zu 100 % als erneuerbar.

Greifen die vorgenannten Ausnahmen nicht, muss neben der Zusätzlichkeit auch ein enger örtlicher Bezug (geographische Korrelation) zwischen der Erzeugungsanlage des erneuerbaren Stroms und der Wasserstofferzeugungsanlage bestehen. Dieser ist immer dann gegeben, wenn die Anlagen in derselben Gebotszone stehen. Durch dieses Kriterium wird ein Strombezug entlang von Netzengpässen, der eine zusätzliche Belastung des Stromnetzes bedeuten würde, vermieden. Bis Dezember 2029 gilt außerdem, dass Stromerzeugung und Stromverbrauch monatlich ausgeglichen sein müssen. Ab 2030 muss der Ausgleich sogar stündlich nachgewiesen werden (sog. zeitliche Korrelation).

Im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf neu ist die sog. Französische Regelung, die wohl Verlangen der französischen Regierung in den delegierten Rechtsakt aufgenommen wurde. Die Regelung privilegiert Produktionsanlagen in Gebotszonen, die besonders emissionsarm sind – was in aller Regel auf einen hohen Atomstromanteil zurückzuführen ist. Voraussetzung für die Anwendung der Regel ist, dass die Emissionsintensität des Strommixes in einer Gebotszone unter 18g CO² / MJ liegt. Außerdem muss der Betreiber des Elektrolyseurs ein PPA über die verbrauchte Menge an Strom mit einem Produzenten erneuerbarer Energien abschließen und die Anforderungen an die geographische und zeitliche Korrelation erfüllen. Es entfällt lediglich das Erfordernis der Zusätzlichkeit, d.h. das PPA kann auch mit bestehenden EE-Anlagen abgeschlossen werden. Frankreich, Schweden und Finnland sind bisher die einzigen Länder, in denen die Einhaltung dieser Vorgabe realistisch ist.

Befindet sich der Produzent – wie es in der Regel der Fall sein wird – nicht in solchen emissionsarmen Gebotszonen, so muss er entweder mit eigenen Anlagen den verbrauchten Strom aus erneuerbaren Energien erzeugen oder ein PPA über die verbrauchte Menge an Strom mit einem Produzenten erneuerbarer Energien abschließen. Außerdem gilt – wie in Fällen von Direktverbindung – das Erfordernis der Zusätzlichkeit. Die Stromerzeugungsanlage darf also maximal 36 Monate vor Betriebsbeginn der Produktionsanlage ans Netz gegangen sein. Dies soll sicherstellen, dass ein starker Anreiz gesetzt wird neue, zusätzliche Erzeugungsanlagen zu errichten und nicht dem Strommarkt die ohnehin schon knappen Kapazitäten zu entziehen. Außerdem darf die Anlage grundsätzlich keine Förderungen in Form von Betriebs- oder Investitionsbeihilfen erhalten haben. Geht die Produktionsanlage bis 2028 in Betrieb, so erhält der Produzent als first-mover eine Schonfrist bis 2037, bevor er den Strom für seine Produktionsstätte von einer solchen zusätzlichen Erzeugungsanlage beziehen muss.

Im zweiten Delegierten Rechtsakt nach Art. 28 Abs. 5 RED II werden Berechnungsmethoden festgelegt, mit denen die Einhaltung der geforderten 70 % Treibhausgaseinsparung durch RNFBO ermittelt werden sollen. Relevant sind dabei die Emissionen während des gesamten Lebenszyklus dieser Kraftstoffe, einschließlich vorgelagerter Emissionen, Emissionen im Zusammenhang mit der Entnahme von Strom aus dem Netz und Emissionen im Zusammenhang mit der Verarbeitung, der Beförderung dieser Kraftstoffe zum Endverbraucher und ihrer Verbrennung. Der delegierte Rechtsakt regelt dabei auch, aus welchen Quellen CO2 für die Herstellung CO2-haltiger strombasierter Kraftstoffe bezogen werden darf.

Auch wenn die Delegierten Rechtsakte aktuell keine Verpflichtungswirkung entfalten und bisher nur auf den Verkehrssektor begrenzt sind, zeichnet sich bereits jetzt ab, dass sie die europäische Blaupause für die Anforderungen an erneuerbaren Wasserstoff darstellen. So wurden die Kriterien bei der Ausschreibung von H2.Global in Bezug genommen (wir berichteten: Link). Auch bei den jüngsten Lockerungen des EU-Beihilferechts zugunsten von Grüner Wasserstoffproduktion stellt die Kommission auf die Anforderungen der delegierten Rechtsakte ab. Auch der deutsche Gesetzgeber hat bereits angekündigt, die Anforderungen zeitnah in der 37. Bundesimmissionsschutzverordnung umzusetzen. Investoren und Projektentwickler von Produktionsstätten für Wasserstoff und Wasserstoffderivate werden voraussichtlich aber erst nach Ablauf der Prüfungszeitraums verlässlich wissen, welche Anforderungen beim Strombezug ihre Projekte erfüllen müssen.

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Das EU/COMP-Team von Chatham Partners ist seit vielen Jahren auf komplexe Fragestellungen und Verfahren aus den Bereichen des EU- und deutschen Wettbewerbs-, Beihilfe- und Vergaberechts spezialisiert und verfügt über ausgewiesene praktische Erfahrungen in verschiedenen Branchen.

Wir danken Sonja Maria Brücker für ihre wertvolle Unterstützung bei der Erstellung dieses Beitrags.

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